Der Weg ist das Ziel - Etappe 1

Mittelalterlicher Jakobsweg Brandenburg - Von Berlin nach Wilsnack

"Die wirkliche Entdeckungsreise besteht nicht darin neue Landschaften zu erforschen, sondern darin, altes mit neuen Augen zu sehen!"
(Marcel Proust)


Verschiedene Pilgerwege aus ganz Europa führen zum Grab des Apostels Jakobus in Santiago de Compostela in Nordspanien. Auch aus Berlin ausgehend führt ein historischer Jakobsweg auf naturbelassenen Feld- und Waldwegen und verkehrsarmen Landstraßen fast 196 Kilometer durch die Mark Brandenburg nach Bad Wilsnack und weiter nach Tangermünde in Sachsen-Anhalt.

Seit hunderten Jahren pilgern Menschen aus aller Welt auf dem Camino, wie der Weg auch genannt wird, zum Apostelheiligtum nach Santiago de Compostela an der Nordwestküste Spaniens. Angeblich sollen dort die Überreste von Jakobus dem Älteren begraben sein, der zusammen mit seinem Bruder Johannes und dem Brüderpaar Petrus und Andreas zu den von Jesus ersterwählten Aposteln gehört. Die Jünger zeichneten sich durch eine besondere Nähe zu Christus aus und bekamen nach Christi Himmelfahrt den Auftrag, das Wort Gottes in die Welt zu tragen. Der Legende nach war Jakobs Aufgabe, die Iberische Halbinsel zu christianisieren. Nachdem dieser Versuch scheiterte, kehrte er nach Jerusalem zurück und wurde im Jahre 44 n. Chr. im Auftrag Herodes Agrippa I. enthauptet. Der Leichnam wurde auf ein Schiff ohne Besatzung übergeben, das später in Galicien im Nordwesten Spaniens anlandete. Hier wurde der Leichnam etwas weiter im Landesinneren beigesetzt. Im 9. Jahrhundert wurde über der Grabstelle eine Kapelle, später eine Kirche und schließlich eine beeindruckende Kathedrale errichtet, in der jeden Tag eine Pilgermesse stattfindet. Das schauspielerische Highlight bietet dabei ein schwingender 54 Kilo schwerer, Weihrauchkessel, der quer durch die Seitenschiffe der Kirche geschwungen wird. Jedes Jahr begeben sich Zehntausende (Tendenz steigend) aus der ganzen Welt zu Fuß, mit dem Fahrrad, zu Pferd oder mit dem Rollstuhl auf ihrem Weg zum Grab des 'Jakobus dem Großen'.

Das Ziel ist klar, aber wo fängt der Weg an? Wer in Spanien danach fragt, erhält einfach die Antwort: "El camino comienza en su casa". Der Weg beginnt in deinem Haus. Und so führen viele Wege aus ganz Europa zu diesem Ziel.

Etappe 1: Berlin (22 km)

In Berlin startet an der Marienkirche ein 130 km langer Pilgerweg von Berlin nach Bad Wilsnack, der ein Verbindungsweg zum berühmten Jakobsweg ist. Und was heute fast niemand mehr weiß. Im Mittelalter war Wilsnack das wichtigste Pilgerziel nach Santiago de Compostela, Rom und Aachen. In der Kirche von Wilsnack wurden drei geweihte Hostien verehrt, die 1383 einen Brand der Dorfkirche unbeschadet überstanden hatten und auf denen danach Blutstropfen zu sehen waren. Gefördert durch die Bischöfe von Havelberg setzte eine Wallfahrtsbewegung ein, die ganz Europa erfasste. Zwischen 1383 und 1552 wurde der Ort Anziehungspunkt hunderttausender Pilger aus ganz Europa und somit das wichtigste Pilgerziel in Nordeuropa überhaupt. Allein Kurfürst Friedrich II. pilgerte von 1440-1451 sechsmal zum Heiligen Blut in der Kirche von Wilsnack. Von Wilsnack geht der Weg dann weiter nach Tangermünde, wo er sich dann an das Wegenetz der Jakobspilger in Europa anschließt.

Meine Reise beginnt im Süden der Stadt. Der Weg führt durch die Königsheide, die mit ihren teilweise mediterran anmutenden Trockenwald zu den schönsten Wäldern Berlins gehört. Ihren Namen verdankt die Königsheide einer Zusammenkunft zwischen dem Schwedenkönig Gustav Adolf und dem brandenburgischen Kurfürsten Georg Wilhelm, während des Dreißigjährigen Krieges, als man um die vom Schwedenkönig bedrohte Stadt Magdeburg handelte.

Nachdem wir die Königsheide hinter uns gelassen haben, erreichen wir über eine Brücke über den Britzer Zweigkanal die Sonnenallee. Hier an der Ecke zur Baumschulenstraße stand bis 1989 der einzige Grenzübergang von und nach Westberlin im Bezirk Treptow, der auch zum Thema im Film „Sonnenallee“ wurde. Heute ist der Standort des ehemaligen Grenzübergangs in Höhe Heidekampgraben durch eine doppelte Pflastersteinreihe und eine Gedenktafel der Geschichtsmeile Berliner Mauer markiert.

Königsheide Sonnenallee Ehemalige Tankstelle Sonnenallee

Wir folgen dem Heidekampweg und der Rinkartstraße bis zur Kiefholzstraße, biegen links ab und laufen bis zur Eichbuschallee, die in den Plänterwald führt. Der Weg führt vorbei am fast vergessenen Freizeitpark Spreepark, der vor gut 40 Jahren 1969 unter dem Namen Kulturpark Plänterwald eröffnet wurde und der einzige Freizeitpark der DDR war. Wahrscheinlich gibt es kaum einen Ostberliner, der keine Kindheitserinnerungen an ihn hat. Im Jahre 2001 meldeten die Betreiber Insolvenz an und setzten sich kurz danach mit den beliebtesten Fahrgeschäften in einer Nacht- und Nebelaktion nach Peru ab. 2002 wurde der Freizeitpark geschlossen und verwahrlost seitdem zusehends. Kaputte DDR Laternen, zertrümmerte Mülleimer, verlassene Kassenhäuschen. Bei einem Blick über den Zaun lässt sich die farbenfrohe Vergangenheit nur noch erahnen. Soweit das Auge reicht nur noch abblätternde Farben, wuchernde Sträucher und umgekippte Riesendinos aus Pappmaschee. Der stillgelegte Vergnügungspark, der früher so voller Leben war, wirkt heute wie eine Geisterstadt.

Wir laufen weiter Richtung Treptower Park und erreichen die Insel der Jugend - ein Rückzugsort für gehetzte Berliner, mit Blick auf die Schornsteine des Rummelsburger Kraftwerks und den Fernsehturm. Die Insel hatte schon viele Namen. Sie hieß Rohr-Insel und Neu-Spreeland. Schließlich wurde zur Gewerbeausstellung 1896 ein Restaurant im Stil einer schottischen Klosterruine gebaut, was ihr den Namen Abteiinsel einbrachte. Die Ruine brannte knapp 20 Jahre später ab. 1949 wurde sie in Insel der Jugend umbenannt – ein Name, der sich bis heute gehalten hat. Sie ist nur über die Abteibrücke erreichbar, die die älteste Stahlverbundsbrücke Deutschlands ist.

Insel der Jugend
Die Abteibrücke ist die älteste Stahlverbundsbrücke Deutschlands und einziger Zugang zur Insel der Jugend

Plänterwald Insel der Jugend Cafe Zenner

Auf dem besonders im Sommer stark frequentierten Spreeuferweg kommen wir zum Haus Zenner, einem der ältesten Traditionslokale Berlins. In dem Biergarten mit der großen Terrasse direkt an der Spree hat sich bereits im 19. Jahrhundert hier alles schichtübergreifend getroffen - vom Bierkutscher bis zum Bankdirektor.

Wir überqueren die stark befahrene Puschkinallee und gelangen in den Treptower Park, der nach dem Tiergarten die zweitgrößte öffentliche Parkanlage Berlins ist. Entstanden ist der Treptower Park in den Jahren 1876-78 nach einem Entwurf des damaligen Gartenamtsdirektors Gustav Meyer, der in die Gestaltung neueste soziale Erkenntnisse mit einfließen ließ. So wurde Berlins „erste betretbare Gartenanlage“ mit großen Spiel- und Liegewiesen errichtet, die der Bevölkerung zur Erholung und Entspannung diente. Der Park im Stil englischer Landschaftsgärten enthält eine künstlich angelegte Wasserfläche, den Karpfenteich, einen Rosengarten, einen Springbrunnen, Skulpturen, Alleen und viele Blumenrabatten. Auch die Archenhold-Sternwarte liegt hier, die über das längste Linsenfernrohr der Welt verfügt. Sie wurde 1896 anlässlich der Großen Berliner Gewerbeausstellung erbaut und im Jahre 1909 in ihrer heutigen Form fertig gestellt. Seit 1946 trägt sie den Namen ihres ersten Direktors, Friedrich Simon Archenhold.

Archenhold Sternwarte

In der Mitte des Treptower Parks liegt das Sowjetische Ehrenmal. Mit 100.000 Quadratmetern ist es das größte seiner Art in Deutschland. Grabplatten und Fresken mit Darstellungen des Kriegsablaufes sind in langen gestaffelten Geraden angeordnet. Die imposante Statue über dem Mausoleum zeigt einen Soldaten, der ein gerettetes deutsches Kind trägt. Es ist eine Gedenkstätte für die etwa 80.000 bei der Eroberung Berlins im Zweiten Weltkrieg gefallenen Soldaten der Roten Armee.



Am Schlesischen Busch parallel zum Flutgraben verliefen die Sperranlagen der DDR. Grenzmauern, Licht-Trasse und Kolonnenweg sind demontiert und überbaut, aber ein Wachturm blieb erhalten und erinnert an die Teilung der Stadt. 1963 beim Ausbau der Sperranlagen als "Führungsstelle" errichtet, diente der Turm auch als Kontrollstelle für weitere "Beobachtungstürme", die ca. alle 300 Meter im Grenzstreifen standen. Eine "Führungsstelle" war mit drei Grenzsoldaten und einem Offizier besetzt. Über dem halb versenkten Sockelgeschoss mit technischen Anlagen erhoben sich in einem Turm diesen Typs das Erdgeschoss mit Arrestzelle, darüber der Aufenthaltsraum und als Beobachtungsobjekt das 2. Obergeschoss mit Ausblick nach allen Seiten. Von dort ließ sich auch der Suchscheinwerfer auf dem begehbaren Dach bedienen. Nachdem unter dem Druck der friedlichen Revolution in der DDR am 9. November 1989 die "Grenzübergangsstellen" in Berlin geöffnet worden waren, entstand am Schlesischen Busch ein zusätzlicher Straßenübergang. Der Wachturm steht seit 1992 unter Denkmalschutz und wurde 2004 saniert.

Der Wachturm am Schlesischen Busch Die ehemalige Grenze Der Flutgraben heute

Wie folgen 800 m der Schlesische Straße, die sich in den letzten paar Jahren dank Clubs wie dem Lido, der Arena, dem Club der Visionäre, Watergate und Magnet zur großen Ausgehmeile etabliert hat.

10 Minuten später erreichen wir die Oberbaumbrücke, die die Stadtbezirke Kreuzberg und Friedrichshain über die Spree miteinander verbindet. Ihre Geburt erlebte die Oberbaumbrücke 1724 noch als Holzkonstruktion, erst nach weiteren Baumaßnahmen 1894 und 1992 gelangte das Wahrzeichen zu seiner heutigen Steinbauweise. Ihren Namen verdankt die Spreequerung der alten Praxis, Wegzölle auf Flüssen durch Sperren mit Baumstämmen einzutreiben. Solche gab es einerseits in Form des Unterbaums flussabwärts im heutigen Regierungsviertel, andererseits begrenzte der Oberbaum die Berliner Zollmauer im Osten.

Blick von der Oberbaumbrück Richtung Zentrum Oberbaumbrücke

In unmittelbarer Nähe der Oberbaumbrücke liegt die East Side Gallery, die längste Open-Air-Galerie der Welt. Sie entstand 1990 nach der Wiedervereinigung. Auf einer Länge von 1,3 Kilometern bemalten 118 Künstler aus aller Welt die Hinterlandmauer entlang der Mühlenstraße zwischen Oberbaumbrücke und Ostbahnhof.



Das spontane Kunstwerk zwischen Oberbaumbrücke und Ostbahnhof steht mittlerweile unter Denkmalschutz. Leider setzen Autoabgase und mutwillige Zerstörung der East-Side-Gallery kräftig zu. Die unkenntlich gewordenen Motive wurden daher 2009 von den Künstlern weitgehend originalgetreu neu gemalt.


Entlang der Holzmarktstraße und Stralauer Straße geht es vorbei am Alten Stadthaus, das von 1955 bis 1990 Sitz des Ministerrates der DDR war, weiter Richtung Alexanderplatz. Gegenüber befindet sich das Nikolaiviertel, das älteste Wohngebiet Berlins. Mit seinen mittelalterlichen Gassen und zahlreichen Restaurants und Kneipen zählt es zu den beliebtesten Anlaufstellen für Berlin-Besucher. Hier steht auch die Nikolaikirche, die älteste Kirche Berlins. Um das Jahr 1200 wurde die spätromanische Feldsteinbasilika fertiggestellt.

Nikolaiviertel Den Fernsehturm vor Augen Am Roten Rathaus

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Rotes Rathaus Fernsehturm Neptunbrunnen

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Blick zum Roten Rathaus Auf dem Weg zur Marienkirche

Sichtbarer Zeuge der Pilgerzeit ist die Marienkirche im mittelalterlichen Stadtkern Berlins. Die Kirche mit den leuchtend roten Dachziegeln wurde im 13. Jahrhundert, im Zuge der ersten mittelalterlichen Stadterweiterung Berlins, errichtet und erhielt den großen Turm um 1418.


Sehenswert ist auch die prunkvoll verzierte Wagnerorgel aus dem 18. Jahrhundert. Auf ihr spielte im Jahr 1747 Johann Sebastian Bach.


In der Turmhalle der Marienkirche befindet sich eines der bedeutendsten, erhaltenen mittelalterlichen Kunstwerke Berlins - das berühmte Totentanzfresko. Das 22,6 m lange und 2 m hohe Wandbild zeigt einen Reigen aus geistlichen und weltlichen Ständevertretern, die sich in einem Schreittanz mit jeweils einer Todesgestalt befinden. Leider ist das Kunstwerk, das vermutlich aus dem 15. Jahrhundert stammt, heute kaum noch zu erkennen.



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Der alte Pilgerweg führt über die heutige Chaussee Straße, die Müller Straße - eine Eintragung über den 'Wundenblutweg' findet sich noch heute im Stadtarchiv von Wedding nach Tegel.


Fotos: Steven Blum und Roger Blum

Quellen:
Rainer und Cornela Oefelein: OutdoorHandbuch Band 189 - Brandenburg: Mittelalterlicher Jakobsweg. Conrad Stein Verlag GmbH. 3.Auflage 2011





Etappe 1: Quer durch Berlin Auch in Berlin gibt es zahlreiche Pilgerwege. Am Alexanderplatz startet der 130 km lange Pilgerweg von Berlin nach Bad Wilsnack, der ein Verbindungsweg zum berühmten Jakobsweg ist. Er führt in Richtung Nordosten entlang weiter Felder und endloser Alleen zu einem der wichtigsten Pilgerziele des Mittelalter. [mehr]


Etappe 2: Tegeler Forst - Bötzow Durch den Tegeler Forst nach Heiligensee und dann nach Norden über Henningsdorf bis nach Bötzow führt diese Etappe des "Wunderblutwegs". Man lässt Berlin hinter sich und wandert auf meist einsamen Wegen durch die flache Brandenburger Landschaft. [mehr]


Etappe 3: Bötzow - Flatow Die Strecke von Bötzow nach Flatow durch den Krämerforst ist völlig unerschlossen. Stundenlang begegnet man keinen Menschen während man die Alte Poststraße Berlin-Hamburg entlangwandert. Der Weg führt auch an der legendären Reckins Eiche vorbei, an der vor 180 Jahren der alte Reckin aufgeknüpft wurde, der lange unentdeckt aus einer hohlen Eiche auf französische Soldaten schoß. [mehr]


Etappe 4: Flatow - Fehrbellin Die Strecke von Flatow nach Fehrbellin führt durch durch die feuchten Wiesen und Weiden des Rhinlurch, das aufgrund der hohen Zahl rastender Zugvögel internationale Bedeutung erlangt hat. An manchen Tagen im Herbst wurden hier schon mehr als 80.000 Kraniche und 60.000 Bless- und Saatgänse gezählt. Auch tobte in dieser Gegend 1675 die Schlacht von Fehrbellin. [mehr]


Etappe 5: Fehrbellin - Protzen In der Kirche Fehrbellin gibt es den ersten Pilgerstempel in den Pilgerpass. [mehr]


Etappe 6: Protzen - Barsikow Der Weg von Protzen nach Barsikow führt auch durch Läsikow, einem Ort mit düsterer Geschichte. Hier zwischen Nackel und Rohrlack befindet sich das Grab der Kindsmörderin Dorthe Lisbeth Büsig, die ihr uneheliches Neugeborenes 1740 tötete und daraufhin vom Neuruppiner Scharfrichter enthauptet wurde. [mehr]


Etappe 7: Barsikow - Kyritz Startpunkt der siebten Etappe ist die gotische Kirche in Barsikow, in deren Kirchturm seit 2012 eine Übernachtungsmöglichkeit für Pilger geboten wird. Die Feldsteinkirche stammt vermutlich aus dem 14. Jahrhundert. Zweihundert Meter entfernt an der Rohrlacker Straße zweigt an einem kleinen Rastplatz an einem Storchenmast ein Plattenweg nach Norden in Richtung Metzelthin ab. [mehr]


Etappe 8: Kyritz - Barenthin Das größte Städtchen auf dem Weg nach Wilsnack ist Kyritz. Die im Mittelalter entstandene Stadt lädt den Pilger zum Besuch des Franziskanerklosters und der Marienkirche ein, letztere mit schöner Statue der Anna Selbdritt, einem seltenen, zweiflügeligen Achatius-Altar und einem imponierend-gewaltigen, achteckigen Taufbecken. Weiter geht es über Feldwege bis Barenthin. [mehr]


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